Geschichte der Weißkopf-Kritiker
Viele denken, die Luftfahrt hat eine simple Geschichte, bei der die Brüder Wright 1903 das Flugzeug erfanden, woraufhin eine dankbare Welt jubelte. Selbst diejenigen, die schon einmal von Gustav Weißkopf gehört haben, halten ihn für einen Quertreiber, der erst später vorbrachte, 1901 geflogen zu sein. In Wirklichkeit war es genau anders rum. Die Wrights haben erst 1908 ein Bild ihres ersten Motorfluges veröffentlicht. Bis dahin galt amerikaweit Weißkopf als Erfinder des Motorflugzeugs.
Außerhalb Amerikas war es schon wieder anders. Überall wurde die Geschichte der Luftfahrt während zweier Weltkriege bzw. des Kalten Krieges verfasst. Dabei gehörten ausgerechnet Flugzeuge zu den entscheidenden Waffen. Aus diesem Grund hatten die Historiker eines jeden Landes den staatlichen Auftrag, die Ehre des Erstfluges für einen Sohn des jeweiligen Heimatlandes zu beanspruchen. So wurden (und werden teilweise heute immer noch, je nach Patriotismus-Gefüge der jeweiligen Nation) Mozhaysky (Russland), Jatho (Deutschland), Ader (Frankreich), Pearse (Neu Seeland), Vuia (Rumänien), Kress (Österreich), Santos-Dumont (Brasilien), Hargrave (Australien), Watson (Schottland) und Maxim/Pilcher (England) zu Erfindern des Flugzeugs deklariert.
Die USA sind ein gutes Beispiel dafür, wie Luftfahrtgeschichte in Kriegszeiten festgelegt wurde. Erst Anfang 1942, wenige Monate nach dem Eintritt Amerikas in den 2. Weltkrieg, legten Historiker des Smithsonian Instituts fest, dass die Brüder Wright aus Ohio den ersten Motorflug gemacht hatten.
Seit dem Ende des Kalten Krieges geht die Welt allmählich in ein postnationales Zeitalter über. Eine dafür geeignete, globale Geschichte zu schreiben, erfordert einige Berichtigungen. (Zum Beispiel, mittlerweile gelten Wikinger – statt Spanier – als Entdecker der Neuen Welt.) Und freilich können nicht 12 Personen das Flugzeug erfunden haben. Die Informationstechnologie treibt diesen Anpassungsprozess voran. Heutzutage verlässt man sich nicht ausschließlich auf Historiker oder Redakteure. Will man etwas aus 1901 wissen, so liest man einfach die Zeitungen aus 1901 online, statt auf Experten zu vertrauen. Weitere Faktoren, die den Wissensstand hinsichtlich der Luftfahrt erweitern, sind Freedom-of-Information-Gesetze sowie der Ablauf von Geheimhaltungsfristen.
Vor diesem Hintergrund wird die Geschichte der Weißkopf-Krtiker unter die Lupe genommen. Deren Geschichte ist fast so faszinierend, wie die von Weißkopf selbst…
Kritiker Nr. 1: Orville Wright
Weißkopf-Kritiker sind infolge der Veröffentlichung des Buches, “Lost Flights of Gustave Whitehead” (Stella Randolph, 1937) erstmals entstanden. Damals breitete sich eine Welle der Empörung über ganz Amerika aus. Viele angesehene Medien, wie z.B. Reader’s Digest, verlangten die Anerkennung Weißkopfs als erster Motorflieger. Daraufhin, im August 1945, während die USA noch im Krieg gegen Japan war, und nur 3 Jahre vor seinem Tod, meldete sich Orville Wright zu Wort. Er war mittlerweile ein alter Mann und versuchte verzweifelt, sein Vermächtnis zu retten. Als Forum wählte er hierfür ein US-Militärmagazin, um gegen den Deutschen, Weißkopf, zu wettern. (Orvilles Bruder, Wilbur, ist lange vorher aus der Luftfahrt ausgestiegen, wollte Theologe werden und starb bereits 1912 an einer infektiösen Erkrankung.)
Orville verfasste nicht nur einen boshaften, gänzlich unwahren Artikel über Weißkopf. Er griff auch auf jenes vertraute Mittel zurück, das er bisher erfolgreich eingesetzt hatte – Rechtsanwälte. Erst wenige Monate nach dem Erscheinen des positiven Weißkopf-Artikels in Reader’s Digest handelten Orvilles Anwälte einen geheimen Vertrag mit dem Smithsonian Institut (dem Bundesmuseum der USA) aus. Tenor des Vertrages war; wenn das Smithsonian schriftlich garantiert, dass Orville und sein Bruder für immer als Erfinder des Flugzeuges gelten, so würde er im Gegenzug sein repariertes „Flyer“ Flugzeug – welches bis dahin in England ausgestellt war – dem Museum als Exponat überlassen. Der Vertrag wurde unterschrieben und ist heute noch gültig.
Unter Berufung auf das Freedom of Information Act, welches infolge des Watergate-Skandals den Zugang zu Regierungsdokumenten ermöglichte, zwang US-Bundessenator, Weicker, das Smithsonian 1976 dazu, die Existenz des Vertrages zuzugeben. Bis heute sind alle Angestellten des Smithsonian verpflichtet, zu sagen, dass die Wrights den ersten Motorflug machten. (Geschichte laut Vertrag? - dieses Thema reicht weit über das des ersten Motorfliegers hinaus.)
Fast alle Argumente der Weißkopf-Kritiker haben ihren Ursprung im Artikel Orville Wrights aus 1945 und werden ungeprüft wiedergegeben. Dies, obwohl es sich dabei um die Meinung einer am Geschehen beteiligten Partei handelt.
Wright beruft sich zunächst auf die Herren Dvorak, Beach und einen Bridgeport-Bewohner namens Dickie. Alle drei behaupten, beim Erstflug Weißkopfs im Jahre 1901 nicht dabei gewesen zu sein. Zwei von Ihnen haben Weißkopf zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht einmal gekannt. Dennoch zitiert Wright Herrn Dickie mit der Aussage, dass „das Flugzeug“ nie geflogen ist. (Dabei unterschlägt Wright, dass „das Flugzeug“, zu welchem Herr Dickie befragt wurde, in Wirklichkeit ein fahrbarer Motoren-Teststand war. Er unterschlägt ferner, dass Dickie Geld verlor, als er in Weißkopfs Flugzeugentwicklungen investiert hatte. Wright zitiert auch gern Herrn Beach. Hier unterschlägt Wright, dass die „Erklärung des Herrn Beach“, aus welcher er zitiert, zwar für Beach auf Wrights Betreiben hin vorbereitet, aber von Beach nie unterschrieben wurde. Wright unterschlägt ferner, dass Beach in fünf Artikeln über diverse Motorflüge Weißkopfs berichtet hatte. Und wenn Wright Herrn Dvorak zitiert, beruft er sich dabei selektiv auf die Enttäuschung Dvoraks, als Weißkopf sein Motor-Design ablehnte, statt das Lob zu zitieren, das Dvorak über Weißkopf auf dem Titelblatt einer Tageszeitung schrieb.
Wright ignorierte ferner jene 17 beeideten Augenzeugenberichte von Personen, die Weißkopfs Motorflüge sahen. Er weist diese pauschal ab mit dem Hinweis, sie stammen von Greisen, Hausfrauen oder Ausländern. Dabei unterschlägt er, dass keine der Personen, die behaupten, seinen eigenen, behaupteten Motorflug 1903 gesehen zu haben, dies jemals unter Eid schriftlich bezeugten.
Wright stellt sodann den Augenzeugenbericht des beim ersten Motorflug Weißkopfs am 14. August 1901 anwesenden Journalisten des Bridgeport Herald in Abrede, ohne darauf hinzuweisen, dass er selbst zu seinem eigenen, behaupteten Erstflug keine Journalisten einlud. (Als Wright am 23. Mai, 1904 endlich Journalisten zu einer Flugvorführung durch ihn und seinen Bruder einlud, scheiterte er mehrere Tage lang, woraufhin die Journalisten abreisten mit der Überzeugung, die Wrights seien Lügner.)
Wrights Hauptargument bei der Abweisung des Zeitungsberichtes über Weißkopfs Erstflug ist, dass angeblich keine anderen Zeitungen die Story aufgriffen. Er zieht daraus den Rückschluss, dass sie alle den Bericht für einen Scherz hielten.
Abgesehen davon, dass “populärer Aufschrei” keine „Wahrheit“ bescheinigt (sondern nur Beweise), und etwas „nicht-zu-berichten“ nicht gleich bedeutet, dass es sich dabei um einen „Scherz“ handelt, war Wrights diesbezügliche Behauptung ohnehin schlicht falsch. Die Welt musste allerdings 110 Jahre warten bis das Informations-Zeitalter seine Lüge aufdeckte. Dieser Autor fand die ersten 15 Weißkopf-Artikel durch einfaches Eintippen der Suchworte “Gustave Whitehead” in die Suchmachine des Newspaper Archives des Library of Congress. Die Eingabe der Suchworte, “Whitehead Bridgeport”, “Whitehead flying machine”, “Whitehead airship” usw. dort und auf diversen anderen, ähnlichen Websites rund um den Globus ergab bislang insgesamt 136 zeitgenössische Artikel über die Motorflüge Weißkopfs in den Jahren 1901/1902. Gewiss gab es viele weitere Artikel über Weißkopf-Flüge aus jener Zeit. (Die bisherige Suchprobe lässt auf eine Schätzung von mehreren Hundert hochrechnen.) Wendet man aber die „Logik“ des Herrn Wright an, so würden die nun aufgedeckten 136 Artikel „beweisen“, dass Weißkopf doch geflogen ist! Freilich beweisen sie gar nichts. Auch ein Artikel, der behauptet hätte, es sei alles nur ein Scherz gewesen, würde ebenfalls nichts beweisen, es sei denn, er würde einen glaubhaften Zeugen zitieren. Was diese Artikel jedoch zweifelsfrei beweisen ist, wie mangelhaft die durch Wright angebotenen “Fakten” und Argumente” waren.
Wrights größter Schnitzer war, zu behaupten, die Zeitung sei selbst davon ausgegangen, der Flugbericht sei ein Scherz gewesen. Als
Begründung hierfür gab er an, die Zeitung habe erst 4 Tage gewartet, bevor sie den Bericht veröffentlichte, statt ihn gleich am nächsten Tag zu veröffentlichen. Dadurch wird offensichtlich, dass
Wright seine angeblichen „Fakten“ frei erfand. Denn die Bridgeport Herald war eine Sonntagszeitung. Sie brachte einen ganzseitigen Bericht über Weißkopfs Flug im Sonderteil ihrer nächsten Ausgabe.
(Am 30.01.1937 veröffentlichte die Zeitung denselben Beitrag erneut mit dem Hinweis, sie stehe dazu!)
Kritiker Nr. 2: Charles Harvard Gibbs-Smith
Der nächste Weißkopf-Kritiker war der Brite, Charles Harvard Gibbs-Smith. Er war für die Identifizierung feindlicher (deutscher) Flugzeuge während des 2. Weltkrieges bei der RAF zuständig. Seine Interessensgebiete umfassten auch Bildteppiche, Fotografie und Frauenmode des 19. Jahrhunderts. Wofür er aber am bekanntesten ist, ist sein Interesse an paranormalen Phänomenen (Geister) sowie an Außerirdischen (UFOs/Fliegenden Untertassen). In einem mittlerweile berühmt gewordenen Fernsehinterview vom 23. Januar, 1966 erklärte Gibbs-Smith, dass eine kurz zuvor gemeldete Sichtung eines UFOs nach seiner Feststellung ein “interplanetäres Vehikel” war. Ferner sagte er, er sei davon überzeugt, dass Informationen darüber durch “higher-ups in Whitehall and Washington” (die oberen Ränge der Regierungen in London und Washington) verschwiegen werde. Seither wird er durch allerlei Anhänger diverser Verschwörungstheorien verherrlicht, obwohl sich seine „Feststellung“ nur kurze Zeit später als lächerlich erwies. [Ein Flugzeugpassagier hatte durchs Fenster „ein UFO“ gefilmt“, was sich bei näherem Hinsehen als die Reflektion des Leitwerks im verzerrten Randbereich des Fensters erwies.] Ähnlich geschah es ihm auch bei seinen „Weißkopf-Feststellungen“.
Zunächst muss angemerkt werden, dass Hr. Gibbs-Smith viele seiner Veröffentlichungen im Namen seines Auftraggebers, des Science Museum in London, machte. Dort wurde ab 1928 der Wright Flyer ausgestellt bzw. eingelagert bis das Flugzeug 1948 nach Amerika ins Smithsonian Museum zurück geholt wurde.
Die Beschreibung der Arbeit Weißkopfs durch Gibbs-Smith stellt kaum mehr als eine Wiedergabe der Tirade Orville Wrights dar. Ein von Gibbs-Smith hinzu genommenes „Argument“ lautet, Weißkopf habe implizit zugegeben, im Jahre 1901 keinen Motorflug gemacht zu haben, weil er 1905 ein Patent bloß für ein Segelflugzeug anmeldete. Die Weiterführung dieser Argumentation würde zu der Schlussfolgerung führen, dass auch die Wrights keinen Motorflug 1903 gemacht haben konnten, weil sie ja ebenfalls ein Segelflugzeug-Patent anmeldeten. Ein weiteres durch Gibbs-Smith aufgezähltes Argument lautet, dass im Jahre 1901 noch kein Acetylen-Motor existiert habe, was aber falsch ist. Mit Acetylen betriebenen Autos wurden schon im Nov. 1899 in Scientific American vorgestellt. Eine französische Firma, Air Liquide, hatte bereits 1901 einen internationalen Vertrieb für Acetylen, sogar mit einer Niederlassung in Bridgeport.
Gibbs-Smiths Weißkopf-Arbeit war so faktenarm, dass das Smithsonian, welches sie ursprünglich in Auftrag gab, von einer Veröffentlichung
Abstand nahm. Es ist nicht bekannt, ob dessen Äußerungen über fliegende Untertassen und Verschwörungen in Washington für diese Entscheidung ausschlaggebend waren. Im Versuch, eine Erklärung dafür
anzubieten, warum seine Weißkopf-Arbeit durch das Smithsonian nie
veröffentlicht wurde, schrieb Gibbs-Smith: „Im Jahre 1968 bot ich an, den Weißkopf-Aufsatz – ohne Honorar – zu schreiben. Doch, in jener unguten Stimmung, die danach
aufkam, fühlte ich mich verpflichtet, das Museum von seiner Annahme meines Angebots zu entbinden. Irgendein Kongreß-Abgeordneter hätte ansonsten womöglich nachgefragt, warum denn ein
rechthaberischer, alter, Historiker über einen der Lieblingssöhne Connecticuts herzieht.” Der Aufsatz wurde lediglich in einer
deutschen Zeitschrift veröffentlicht.
Kritiker Nr. 3: Thomas D. Crouch, Ph.D.
Tom Crouch, Historiker des US-Bundesmuseums, Smithsonian Institute, trat als nächster Weißkopf-Kritiker in die Fußstapfen von Herrn Gibbs-Smith. In seinem 1981 erschienenen, Weißkopf-kritischen Buch, "A Dream of Wings", bekennt sich Crouch dazu, „tief in der Schuld von Herrn Gibbs-Smith wegen dessen Hilfe bei der Untersuchung der Karriere Weißkopfs zu stehen“. Tom bezeichnet Herrn Gibbs-Smith ferner als “Chorifée der frühen Luftfahrtgeschichte“ und bedankt sich bei ihm und seinen anderen Mentoren dafür, dass diese seine “naïven Fragen über die Aerodynamik und Flugzeugstrukturen” beantworteten (S.9).
Doch bevor auf Crouchs Weißkopf-Kritik eingegangen wird, ist es wichtig, festzuhalten, dass die Bedingungen seiner Anstellung ihm ausdrücklich verbieten, zu behaupten, dass jemand vor den Wrights flog (ansonsten würde er für seinen Arbeitgeber einen Schaden verursachen, den er selbst als „priceless“ [unermesslich] bezeichnet). Diese Bedingung ist im Wright-Smithsonian Vertrag enthalten und lautet wie folgt:
„Weder die Smithsonian Institution oder deren Nachfolger, noch jegliches von der Smithsonian Institution oder deren Nachfolger für die Vereinigten Staaten von Amerika verwaltete/s Museum oder Agentur, Amt oder Abteilung, darf öffentlich bekannt machen oder eine Erklärung oder eine Aufschrift in Verbindung mit oder in Bezug zu einem Luftfahrzeug-Typ oder -Entwurf mit einem früheren Datum als dem des Wright-Flugzeuges von 1903 mit der Behauptung versehen, dass dieses Flugzeug in der Lage war, einen Menschen unter eigener Kraft im kontrollierten Flug zu tragen.“
Crouch entledigt sich des – aus seiner Sicht lästigen – Weißkopf-Vermächtnisses recht früh, indem er schreibt, „Weißkopf verließ Boston im Frühling 1897. [ ] Nach seiner Abreise blieb der Deutsche abseits des Hauptstroms der aeronautischen Entwicklung -zu unabhängig und exzentrisch, um sich jemals wieder einer etablierten Gruppe anzuschließen.“ (S.119). Diese Behauptung steht jedoch eklatant im Widerspruch zu den Fakten. Weißkopf war mit beinahe jeder wichtigen Person und Organisation der frühen US-Luftfahrt assoziiert. Zu behaupten, er sei „abseits“ der Flieger-Gesellschaft gewesen, ist schlicht falsch.
Um seiner Behauptung Nachdruck zu verleihen, fügte Crouch hinzu; “Die spätere Arbeit Weißkopfs konnte die Aufmerksamkeit keiner der sachkundigen Autoritäten aus der Fachwelt auf sich ziehen. Gelegentliche, kurze Zeitungsberichte oder Artikel in obskuren Mechaniker-Journalen, die darauf hindeuteten, dass Weißkopf in den Jahren 1897-1902 recht fleißig war, wurden als bedeutungslos zurückgewiesen.” (S.119). Die Absurdität dieser Behauptung wird nicht nur durch mehr als 300 Zeitungsartikel – einige davon über ganze Titelseiten –, sondern auch durch das Smithsonian selbst dokumentiert. In dessen „Bibliography of Aeronautics” (1910) werden Weißkopf und seine Flugzeuge insgesamt elfmal erwähnt.
Crouch hebt seine verächtlichsten Kommentare für Weißkopfs Flugzeug auf: “Nachrichten-Fotos, die um die Zeit des behaupteten Fluges veröffentlicht wurden, zeigen einen unvollständigen Apparat, dem der Motor fehlte.“ (S.122). Das Bild (unten), welches in mindestens acht zeitgenössischen Publikationen erschien, zeigt sowohl den Motor für den Propeller-Antrieb (oben auf dem Flugzeug montiert) als auch jenen für den Boden-Antrieb (den Weißkopf ausbaute und in der Hand hält, damit es im Foto sichtbar ist). Crouch scheint die Komplexität der Weißkopf-Erfindung nicht begriffen zu haben.
Crouch behauptet ferner, das Fluggerät Weißkopfs sei strukturell “zu wackelig” gewesen. Als “Beweis” hierfür zitiert er das “fachliche Urteil” des Charles Manly. Was Crouch dabei nicht erwähnt, ist, dass Manly das Flugzeug Weißkopfs kein einziges Mal sah. Es wurde ihm lediglich durch eine Schreibkraft des Smithsonian, Herrn Traylor, der keinerlei technisches Wissen besaß, beschrieben. Crouch unterschlägt dabei ferner, dass Hr. Traylor das Flugzeug auch nicht wirklich gesehen hatte, sondern nur dessen Außenverpackung betrachtete, als es im Eisenbahnwagon in Atlantic City ankam. Es handelt sich also bei diesen "Feststellungen" nicht einmal um Hörensagen.
Neben seinem Hinweis darauf, dass keine Fotos vom behaupteten Motorflug Weißkopfs existieren, versteift sich Crouchs Hauptargument darauf, dass spätere, nicht erfolgreiche Flugzeuge Weißkopfs (welche Tom zwar Weißkopf zuschreibt, jedoch in Wirklichkeit Flugzeug-Designs seiner Kunden waren) angeblich „beweisen“ würden, dass Weißkopf 1901 nicht erfolgreich war (S.125). Abgesehen davon, dass derartige indizienbezogenen Argumente zu keinen verbindlichen Erkenntnissen führen, ist er darüber hinaus so, dass kein Erfinder die Verpflichtung hat, weiterzuentwickeln, nachdem er jenes Problem gelöst hat, das er sich vorgenommen hat zu lösen, bzw. teure Experimente fortzuführen, wenn er pleite ist und für eine junge Familie sorgen muss. (Augustus Herring ist etwa ein Beispiel eines Erfinders, der seine Experimente einstellte, sobald er sein Flugzeug zum Fliegen brachte, und danach anfing, für Glenn Curtiss zu arbeiten. Auch die Brüder Wright vergaben Lizenzen für den Flugzeugbau an andere und konzentrierten sich selbst auf das viel lukrativere Geschäft - die Veranstaltung von Flugschaus). Doch, selbst wenn alle Argumente zuträfen, stünde Crouchs Grundannahme im Widerspruch zu den Fakten. Weißkopf machte sehr wohl einen weiteren Motorflug im Jahre 1903, indem er einen leichten Motor auf seinem alten Dreidecker-Gleiter aus seinen New York Tagen montierte. (Lediglich dieses Fluggerät blieb übrig, als seine Werkstatt infolge eines Streits durch seinen Ex-Geschäfts-Partner, Linde, übernommen wurde). Dieser Flug wurde in Scientific American, Ausgabe vom 19. Sept. 1903 (S.204) wie folgt beschrieben: “Das Flugzeug schwebte ca. 1-5m über dem Boden über eine Distanz von ca. 300m, ohne dass dabei die Füße des Piloten den Boden berührten.” Fotos, vom Flugzeug und vom Motor begleiteten den Artikel. (Und Scientific American ist keine “obskure Mechaniker-Zeitung”, sondern das angesehenste Wissenschaftsmedium Amerikas.)
In der Baltimore Sun, Ausgabe vom 22. April 2003, wirft Hr. Crouch den Weißkopf-Forschern vor, sich für „Verschwörungstheorien” zu begeistern. Eine "Theorie" ist unbewiesen. Wenn's jedoch um Vorurteiloe gegen Weißkopf durch das Smithsonian geht, gibt es viele handfeste Beweise:
1). Im Sept. 1901 beteiligten sich drei Smithsonian-Angestellten am heimlichen Versuch, Weißkopfs Flugzeug zu vermessen;
2). Am 12. Sept. 1968 schrieb Smithsonian-Direktor, S. Paul Johnstone, an den Weißkopf-Forscher, Maj. W. O'Dwyer, Folgendes; "Wir haben kein Mandat, weder direkt noch implizit, die Errungenschaften von irgendjemanden zu bescheinigen oder zu dementieren". Die spätere Offenlegung des zu diesem Zeitpunkt noch geheimen Wright-Smithsonian Vertrages, beweist exakt das Gegenteil;
3). Im Jahre 2012 wurde der Autor dieser Website beauftragt, für einen Dokumentarfilm des Smithsonian Channel, die Geschichte straßenfähiger Flugzeuge zu recherchieren. Er wurde dabei selbst Zeuge der von dort ausgehenden Weißkopf-Zensur. Trotz klarer und überzeugender Beweise dafür, dass Weißkopf das erste straßenfähige Flugzeug baute, musste die Produzentin jener Sendung - auf Anweisung aus dem Smithsonian - jegliche Erwähnung Weißkopfs aus der Endfassung des Films streichen;
4). Nachstehender Brief des Erster-Weltkrieg-Historikers, Leo Opdycke an den Urenkel Weißkopfs könnte so verstanden werden, dass Crouch ein Foto von Weißkopfs 1901-Flugzeug im Flug seit mindestens 2005 besitzt, ohne es jedoch zu veröffentlichen:
5). In einem im Jahre 1982 fürs Deutsche Fernsehen aufgenommene Interview, erklärte Crouch, er habe “jedes Museum auf der ganzen Welt, welches Informationen über Weißkopf besitzt, besucht”. Eine kurze Rückfrage ergab jedoch, dass weder dem Weißkopf-Museum in Deutschland noch den Bibliotheken in Fairfield und Bridgeport in den USA bewusst ist, jemals durch Crouch besucht worden zu sein. Wenn er also schreibt, “Die besten Bemühungen der Weißkopf-Anhänger scheiterten daran, überzeugende Antworten zu liefern” (S.126), liegt es vermutlich daran, dass er sie nie Fragen gestellt hat. Selbst in der Kindersendung, Sesamstraße, wird gesungen, “wer nicht fragt, bleibt dumm”. Das könnte ein guter Ausgangspunkt für US-amerikanische Bundes-Historiker sein, sobald sie sich damit befassen, eine post-nationale Geschichte der Luftfahrt für eine zwischenzeitlich transparent gewordenen Welt zu schreiben.
Nur ein Außerkraftsetzen des Wright-Smithsonian Vertrages kann als erster Schritt dazu dienen, dass die selbstbeweihräuchernde Geschichtsvorschreibung von Orville Wright durch eine unparteiische Analyse der Fakten ersetzt wird. Nur so können die Verkundungen des Smithsonian von der Vorgabe der Wrights getrennt werden, um dieses wichtige Kapitel der Luftfahrtgeschichte aufzuarbeiten.
Kritiker Nr. 4: Werner Schwipps & Hans Holzer
Werner Schwipps hat die Bücher, "Lilienthal und die Amerikaner", 1985, (in dem Gustav Weißkopf vorkommt) sowie - zusammen mit Hans Holzer - "Flugpionier Gustav Weißkopf", 2001, geschrieben. Darin befinden sich keine neuen Kritiker-Argumente. Exemplarisch hierfür sind folgende Auszüge:
"Bald darauf verließ Weißkopf Boston und mied seitdem die
Gesellschaft anderer Aviatiker“; “Er war und blieb Einzelgänger,
in gewisser Weise Exzentriker“
(S. 23, Flugpionier G.W.; S. 73, Lilienthal & die Am.)
Mit (sehr) ähnlichen Worten wurde zuvor dieselbe Thematik auf Englisch in "Dream of Wings" (Crouch) behandelt:
“Whitehead left Boston in the spring of 1897. [ ] After his departure,
the German was to remain apart from the mainstream of the
aeronautical community, too independent and eccentric to ally himself
with an established group again.”
(p.119, Dream of Wings, Crouch)
Diese Zitatstelle wurde exemplarisch gewählt, weil sie nicht nur veranschaulicht, dass die Inhalte weitgehend identisch sind, sondern, weil es sich dabei um die wohl absurdeste Behauptung über Weißkopf handelt, die seine Kritiker aufstellen. Selbst eine nur oberflächliche Untersuchung der Thematik hätte ergeben, welche umfangreichen Kontakte Weißkopf zu anderen Aviatikern nach 1897 über einen Zeitraum von 15 Jahren bis 1912 hatte.
Herrn Schwipps kann aber in einem Punkt zugestimmt werden, wenn er schreibt:
"Es kann gewiß darüber gestritten werden, ob eine Institution vom Range Smithsonians gut beraten war, eine wissenschaftliche Erkenntnis vertraglich für alle Zeiten festzuschreiben." (S.91)
Wie konnte das alles passieren?
Nicht nur das Fehlen eines Fotos, sondern viele Faktoren trugen dazu bei, dass Weißkopf keine Anerkennung für den ersten Motorflug bekam. Einige dieser Faktoren waren große Ereignisse. Doch vermutlich war einfaches, menschliches Fehlverhalten die Hauptursache.
Alles begann mit dem damaligen Direktor des Smithsonian Instituts, Prof. Samuel P. Langley. Langley hatte einige, besondere Persönlichkeitsmerkmale. Er bestand, z.B. darauf, dass seine Mitarbeiter hinter ihm gehen. Seine Mitarbeiter beschwerten sich über seine “extrem ungeduldige, aufgebrachte Art” und dass er ein “ fordernder Perfektionist sei, der auf absolutes Gehorsam besteht”. Auch andere beschwerten sich über seine Art, wie z.B. Otto Lilienthal, der gegenüber Chanute meinte, durch Langley “von oben herab” behandelt worden zu sein als ihn Langley in Berlin besuchte.
Langley wollte unbedingt der Erste sein, der einen Motorflug schaffte. Auch hierbei machte sich seine Persönlichkeit bemerkbar:
- In einem Aktennotiz, über seine Beobachtung der Flüge Lilienthals
schrieb er, “Ich hatte nicht das Gefühl, viel gelernt zu haben ”; [der Leser erinnert sich, weder Langley noch sein Flugzeug sind jemals geflogen]
- Augustus Herring erlebte so schwerwiegende persönliche Differenzen mit Langley dass deren Arbeitsbeziehung schon nach 7 Monaten beendet war. Abgesehen von Langleys Persönlichkeit beschwerte sich Herring hauptsächlich über seine “Unfähigkeit, die Ideen anderer von seinen eigenen auseinander zu halten.” Ein Journalist aus Washington unterstellte Langley sogar, die Ideen anderer zu klauen.
- Langley war nicht bereit, die Ergebnisse seiner Experimente zu veröffentlichen.
- Langley wies drei seiner Mitarbeiter an, einen Erfinder (Weißkopf)auszuspionieren.
Nichts dergleichen ist mit der Aufgabe eines Museumsdirektors kompatibel.
Ein Museum hat den öffentlichen Auftrag, auf unparteiische Weise Informationen über die Vergangenheit zu sammeln. Zu diesem Zweck nimmt es mit Erfindern Kontakt auf, gewinnt typischerweise deren Vertrauen und erhält im Gegenzug Informationen und Exponate. Über Erfinder zu lästern (wie über Lilienthal), deren Ideen zu klauen (wie bei Herring), Informationen zurück zu behalten (wie anlässlich des Aeronautischen Kongresses in Chicago), und sie auszuspionieren (wie bei Weißkopf), und während dessen sogar mit Ihnen im Konkurrenzverhältnis zu stehen im Versuch, etwas vor Ihnen zu erfinden, ist unangemessen. Überdies gab Langley einige Hunderttausend Dollar Steuergeld für seine erfolglosen Experimente aus, was ihm nicht nur einen unfairen Vorteil sicherte, sondern herbe Kritik aus anderen Quellen einbrachte.
Am Ende erklärte Langley den „Sieg“ und gab auf. Er behauptete einfach, sein Flugzeug sei geflogen, obwohl es in Wirklichkeit unfeierlich in den Potomac-Fluss plumpste. In einem der längsten Rechtszüge der US-Geschichte konnten die Wrights beweisen, dass Langleys Erfindung nicht flog. Doch während des Rechtsstreits (von vor dem 1. Weltkrieg bis 1928) wurde das Flugzeug Langleys im Smithsonian ausgestellt mit einem Hinweistafel, wonach es den ersten, bemannten, kontrollierten, selbstragenden Flug der Geschichte absolvierte.
Erst nach dem Ende des Rechtsstreits fing das Smithsonian an, sich mit dem Vermächtnis ihres vormaligen Direktors auseinander zu setzen. Die Situation war peinlich. Durch die Duldung der egomanischen Persönlichkeit Langleys hatte das Smithsonian viel Glaubwürdigkeit eingebüßt.
Das Museum versuchte, sich zu fangen. Allerdings wollte die Luftfahrtszene nichts mit ihm zu tun haben. Glenn Curtiss störte sich nach
wie vor an dessen Haltung während des Rechtsstreits. Orville Wright boykottierte es einfach, indem er seinen „Flyer 1“ zur Ausstellung nach England schickte. Sogar die Library of Congress (auf der
gegenüber liegenden Straßenseite) war empört. Deren Experte, Albert Zahm, ein
ausgebildeter, aeronautischer Ingenieur, der selbst einer der ersten war, der einen Segelflieger in Nordamerika baute und flog, war ein vehementer Gegner des Museums.
Das Smithsonian verbrachte daher die Zeit danach abseits des Hauptstroms der aeronautischen Bewegung, zu unabhängig und selbstgerecht, um
sich irgendeiner Gruppe anzuschließen.
Zwei aufeinander folgende Ereignisse brachten die Rettung. Erstens, begannen 1938 Filmproduzenten in Hollywood und 1941 Reader’s Digest zusammen mit einem großen Teil der US-Medien, die Anerkennung Weißkopfs als erster Motorflieger zu verlangen. Auf einmal hatte Orville Wright ein Problem. Er brauchte Anerkennung in den USA und konnte sich seine Boykotthaltung nicht mehr leisten. Das deckte sich ganz gut mit dem Wunsch des Smithsonian nach erneuter Relevanz. Zweitens überfielen japanische Flugzeuge Pearl Harbor (am 7. Dez., 1941), was zur Kriegserklärung Amerikas gegen die Axis-Mächte führte. Die Wahrscheinlichkeit, dass unter diesen Umständen ein Deutscher zum ersten Motorflieger erklärt würde, verringerte sich. Außerdem war die Öffentlichkeit nun abgelenkt. Die Anerkennung der Wrights als erste Motorflieger fand einige Monate später statt.
Fürs Smithsonian war es eine leichte Entscheidung. Das oberste Gericht Amerikas hatte den Anspruch der Wrights bestätigt,
Schlüsselkomponente des Flugzeugs erfunden zu haben (allerdings, ohne dabei den Anspruch Weißkopfs untersucht zu haben). Darüber hinaus, bestreitet kein seriöser Historiker – damals wie jetzt,
einschließlich dieses Autors – dass die Wrights die besten unter den ersten Aviatikern
waren. Im Sommer 1908 flog das Wright- Flugzeug Ringe um Pariser Stadien, während viele andere Aviatiker Mühe hatten, beim Geradeaus-Flug für nur kurze Dauer in der Luft
zu bleiben. Doch obwohl sie die Besten waren, waren sie nicht die
Ersten.
Die Situation um die Erfindung des Flugzeugs gestaltet sich mittlerweile, wie jene um die Erfindung des Computers oder Smartphones. Bill Gates und Steve Jobs patentierten und prozessierten solange bis sie eine Vormachtstellung hatten. Sie sind aber deswegen nicht deren jeweilige Erfinder, obwohl es kaum jemand infrage stellen würde, wenn sie dazu ausgerufen würden. Bei den Wrights ist es insofern anders, als dass sie tatsächlich einiges erfanden. Doch statt Flugzeug-Design insgesamt zu verbessern, bewirkte die Durchsetzung ihrer Patente, dass sich die US-Luftfahrt rückwärts entwickelte, und zwar weg vom modernen Eindecker mit Leitwerk, Fahrgestell und Zugpropeller, was bereits entwickelt worden und „open source“ (lizenzfrei) war.
Dass das Smithsonian seine Unterstützung von Langley auf die Wrights übertrug, war Opportunismus statt historische Recherche. Es wurde verhandelt statt ermittelt. Vor der Anerkennung der Wrights wurde kein Versuch unternommen, die Motoren, Flugzeuge, Fotos oder Aufzeichnungen Weißkopfs zu sichern oder zu untersuchen. Weißkopfs Biografin, Stella Randolph, wurde durch das Smithsonian ignoriert, obwohl sie direkt in Washington DC wohnte.
Es dauerte von 1903 bis 1948 bis das Smithsonian zugab, sich bei der Anerkennung Langleys geirrt zu haben und dessen Anerkennung auf die Wrights übertrug. Statt sie ungeprüft zu übertragen hätte vermutlich jedes andere Museum eine Untersuchung durchgeführt. Erfinder werden nicht erklärt, beschlossen oder verhandelt, sondern mittels Beweise festgestellt.